Dimensionen |
Indikatoren |
Hinweise zu komplizierenden Faktoren |
Allgemeine Voraussetzungen (um den Text verstehen zu können)
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Bereitschaft
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Ein Stubenhocker, der ‒ rein konservativ betrachtet ‒ gesellschaftlich scheitert, fasziniert nicht allen Lesern, und die versteckte Kritik an die Berlin-Schwärmerei wird nicht allen gefallen. Gerade in Verbindung mit der filmischen Umsetzung kann jedoch eine gesteigerte Motivation erwartet werden. |
Interessen
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Als stimulierend könnten sich das lockere Ambiente (Berliner Kneipenszene) sowie die allgemein sympathischen Hauptfiguren erweisen. Gerade männliche Schüler können mit dem belanglosen "Herr Lehmann" eventuell eine hohe Identifikation aufbauen. |
Allgemeinkenntnisse
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Kenntnisse zur politischen Situation Deutschlands und speziell Berlins während des Endes des "Kalten Krieges" sind unerlässlich zum Verständnis des Textes. Dies betrifft auch die Rezeption Ost-Deutschlands in West-Deutschland. Ebenso ist es notwendig, dass das Soziotop Kreuzberg (die Handlung spielt im südöstlichen Teil Kreuzbergs, SO36) in seinen Eigenheiten charakterisiert wird: Welcher Typ Mensch war dort gehäuft anzutreffen? Viele Stellen des Romans leben von Andeutungen und Vorurteilen, die sich auf den speziellen Kontext Berlins beziehen und daher für Schüler nicht sofort ersichtlich sein könnten. Ein Beispiel ist die Beschreibung von Berliner Stadtteilen wie dem Kudamm, in diesem Fall als Ort touristischen Massenkonsums. Die Kneipe als speziell deutsche Institution kann eventuell auch nicht jedem Schüler vertraut sein. Ein landeskundlicher bzw. interkultureller Einblick kann hierbei hilfreich sein. |
Spezifische kulturelle und literarische Kenntnisse
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Regeners Erzählung wird als typisches Werk der Pop-Literatur gesehen. Es ist jedoch wohl zu verschmerzen, wenn diese Tradition bei der Bearbeitung mit der Klasse ausgeblendet wird. Ein Quervergleich lässt sich vielleicht mit Eichendorffs Taugenichts herstellen, ebenso können klassische ethische Positionen (Aristoteles) als Reflektionsebene genutzt werden. Jedoch ist dies für das Verständnis des Romans nicht essentiell. Mythische oder religiöse Bezüge sind nur sehr schwach ausgeprägt. Die literarischen Elemente wie Erzähltechnik oder Stilistik sind von einem mittleren Niveau, stellen also keine ausufernden Anforderungen an den Leser.
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Fertigkeit bezüglich des Sprachgebrauchs und des literarischen Stils
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Vokabular
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In der Erzählung wird deutsche Umgangssprache benutzt, die wiederum auch heute noch gebräuchlich ist. Elemente der Vulgärsprache sind vereinzelt zu finden, jedoch gehen sie nicht ins Übertriebene, sondern unterstreichen eher den flapsigen Umgang miteinander innerhalb der Kreuzberger Kneipenszene. In den Dialogsituationen gibt es keine Bezüge zum Berliner Dialekt. Dies soll sicherlich unterstreichen, dass es sich bei den meisten Bewohner der "Insel Kreuzberg" um Zugezogene aus den anderen Bundesländern der BRD handelt.
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Satzkonstruktionen
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Markant an Herr Lehmann ist die gehäufte Nutzung der erlebten Rede, also vor allem die Verschiebung des Aussagesubjekts in die dritte Person und das häufige Auftreten von Interjektionen (ach, hm, na ja, okay, aha). Ein Großteil der Dialoge ist von raschen Wortwechseln (Telefongespräch mit der Mutter in Kapitel 2) geprägt. Nur selten - wie in der Diskussion mit Katrin in Kapitel 4 - finden sich länger andauernde Ausführungen.
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Stil
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Regeners Werk kann sicherlich nicht als spannungsgeladen bezeichnet werden, sondern lebt insbesondere von den skurrilen, teilweise absurd anmutenden Dialogen, die sich zwischen Lehmann und den Nebenfiguren wie Karl, Katrin oder Lehmanns Mutter abspielen. Beispiele dafür finden sich in den Kapiteln 3, 4 und 18.
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Fertigkeit bezüglich der literarischen Verfahrensweise
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Handlung
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Die Handlungsentwicklung wird mit Hilfe verschiedener Ereignisse vorangetrieben. Zu Beginn der Erzählung ist die persönliche Situation von Herr Lehmann noch stabil und wird durch die Beziehung mit Katrin (ab Kapitel 3) und den Besuch seiner Eltern (Kapitel 12) gestört. Weitere vorantreibende Elemente sind die entstehende Geisteskrankheit von Karl und der Fall der Mauer. Prägnant sind auch die ausführlichen Situationsbeschreibungen, so in Kapitel 1 bei der Begegnung mit dem Hund oder in Kapitel 14 bei der missglückten "Wiedervereinigung" mit Karl. Detaillierte Personenbeschreibungen sind dagegen kaum zu finden. Regener kombiniert häufig die Stilelemente "Dialog" und "Situationsbeschreibung" in den einzelnen Kapiteln.
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Chronologie
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Der Beginn des Romans ist relativ unvermittelt und startet in medias res mit einer absurd anmutenden Begegnung Lehmanns mit einem Hund. Es werden sehr wenige Informationen zur Vorgeschichte sowie zum Protagonisten gegeben. Danach entfaltet sich die Geschichte in ihrer Zeitstruktur relativ linear und ohne ausschweifende Vor- und Rückblicke. Jedoch bleibt das Verhältnis zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit nicht während des gesamten Romans konstant gleich. In den Kapiteln 8 bis 17 findet eine Zeitraffung statt, d.h. die erzählte Zeit dehnt sich von einem Tag auf mehrere Wochen aus. Diese Änderung drückt sich auch in der Gestaltung der Kapitelüberschriften aus. In den letzten drei Kapiteln wird wieder die Differenz zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit verringert. Es werden hierbei die persönlichen und welthistorischen Ereignisse des 9. November 1989 miteinander verknüpft.
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Erzählstrang /-stränge
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Die zwei grundlegenden Erzählstränge sind die Liebesbeziehung zwischen Frank und Katrin sowie die zunehmende Verwirrung um Karl. Diese Entwicklungen werden parallel und relativ unabhängig voneinander vorangetrieben, das Verbindungsglied ist die Beziehung von Katrin und Karl mit Frank. In den Kapiteln 17, 19 und 20 kulminieren diese Erzählstränge und münden schließlich in das offene Ende des Romans.
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Perspektive(n)
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Bei Herr Lehmann wird ausschließlich die personale Erzählperspektive angewendet. Die Geschichte wird aus der beschränkten Perspektive von Frank Lehmann beschrieben, jedoch wird sie nicht durch ihn direkt erzählt (Erzählung in der dritten Person). Der eigentliche Erzähler bleibt während des gesamten Romans verborgen. Herr Lehmann dient als zentraler Bezugspunkt in den Romandialogen und bei der Perzeption der jeweiligen Umgebung. Diese Perspektive führt zu einer hohen sensitiven Identifikation des Lesers mit dem Protagonisten. Allerdings wird diese dadurch gehemmt, dass der Protagonist stets formell "Herr Lehmann" genannt wird und dies somit wieder Distanz zwischen Leser und Charakter aufbaut. Der Leser ist aufgefordert, sich wie Herr Lehmann selbständig Gedanken über bestimmte verdeckt ablaufende Ereignisse zu machen. Beispielsweise ist nicht klar, wie sich konkret die Beziehung zwischen Katrin und "Kristall-Rainer" entwickelt hat oder woraus nun die mentalen Probleme Karls wirklich entstanden sind. Für den Leser sind im Romangeschehen nur diejenigen Andeutungen zu finden, die Herr Lehmann auch wahrnimmt und insofern muss er mit ihm gemeinsam die Ereignisse interpretieren. |
Bedeutung (sschichten)
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Die Struktur der Bedeutungsschichten von Herr Lehmann kann als komplex bezeichnet werden. Die "Große Politik" der Wendezeit interagiert mit der Sozialphilosophie des Mikrokosmos' Kreuzberg in den 80er Jahren und den persönlichen Neurosen der Figuren. Diese Motive können durchaus getrennt voneinander behandelt werden, jedoch können dadurch die Phänomene sicherlich nicht voll erfasst werden. Das Aussenseitlertum Lehmanns und seine Gesellschaftskritik führen zu Fragen nach Werten wie Freiheit und Unabhängigkeit versus Leistungsorientierung. |
Fertigkeit bezüglich der literarischen Figurengestaltung
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Charaktere
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Alle Charaktere von Herr Lehmann sind Erwachsene und insbesondere Frank und Karl haben doch gewisse Spleens. Ihr Verhalten ist eigenwillig, teilweise absurd und entspricht nicht den Kategorien, die Jugendliche an das Verhalten von Erwachsenen anlegen. Jedoch oder vielleicht gerade aufgrund dessen dürfte ihnen die Sympathie des Lesers sicher sein. Die Beschränkung auf wenige Hauptfiguren ermöglicht eine präzise Zeichnung der Charakter. Durch den Film könnte diese Perspektive noch plastischer dargestellt werden.
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Zahl der Figuren
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Die Anzahl der Charaktere ist übersichtlich und beschränkt sich auf das Umfeld von Frank Lehmann. Die Unterscheidung der Bedeutung der Figuren dürfte keine große Hürde darstellen.
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Verhältnisse
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Die Beziehungen, die sich um den Protagonisten entwickeln, können als klassisch bezeichnet werden: Freundschaft (Karl), Liebe (Katrin), Gegner (Kristall-Rainer) und Familie. Beziehungen zwischen den o.g. Figuren netziehen sich jedoch in bestimmten Teilen dem Wahrnehmungsfeld des Protagonisten. |
Benutzte Quellen
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Regener, S. (200310): Herr Lehmann. München: Goldmann. |
Relevante Quellen
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Beretta, S. (2008): Kreuzberg 36 und die Bremer Lehrjahre. Zu Sven Regeners Romanen Herr Lehmann und Neue Vahr Süd. In: Cambi, F. (Hrsg.): Gedächtnis und Identität. Die deutsche Literatur nach der Vereinigung. Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 99-110.
Finger, E. (2001): Try to be Mensch! In: Die Zeit,16.08.2001, S. 36.
Gremler, C. (2007): "Somehow It Was Only Television". West German Narratives of the Fall of the Wall in Popular Novels and Their Screen Adaptations". In: Schoenfeld, C. & H. Rasche (Hrsg.): Processes of Transposition. German Literature and Film. Amsterdam: Rodopi, S. 269-291.
Knobloch, H.-J. (2008): Endzeitvisionen. Studien zur Literatur seit dem Beginn der Moderne. Würzburg: Königshausen & Neumann.
Merk, Simone. (2005): 'Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben': Zeit, Geschichte und Zeitgeschichte in Sven Regeners 'Post-Pop-Roman' 'Herr Lehmann'. In: Andrea Bartl (Hrsg.). Verbalträume. Augsburg: Wißner Verlag. S. 140-141.
Wehdeking, S. (2008): Film, Musik und Neue Medien in der deutschen Gegenwartsliteratur. In: Poppe, S. & S. Seiler (Hrsg.): Literarische Medienreflexionen. Künste und Medien im Fokus moderner und postmoderner Literatur. Berlin: Erich Schmidt, S. 205-222. |